Kein Zweifel: Ehrenfeld hat was. In dem ehemaligen Arbeiterviertel ist über drei Jahrzehnte ein bemerkenswerter Mix von Kulturen und Lebensformen entstanden. Ein urbaner Garten, verwildert und gleichzeitig harmonisch. Bodenständig und trotzdem kreativ, chaotisch und trotzdem liebenswert. Wie das Barinton.
So etwas ist nicht planbar. Und nicht reparierbar, wenn es kaputt geht.
Das Gespenst der Gentrifizierung geht um. Ehrenfeld ist zur attraktiven Arbeits- und Wohngegend geworden. Steigende Mieten versprechen überdurchschnittliche Renditen. Dann kann es schon mal sein, dass ein alt eingesessenes Geschäft aufgeben muss. Dass Jack-in-the-box und Underground weichen müssen. Dass das Cinenova ums Überlegen kämpfen muss. Nicht, weil die Kunden ausbleiben. Sondern weil Investoren höhere Erwartungen haben.
Das Barinton – könnte auch in New York oder London sein
Das Barinton ist ein kleiner Laden, unscheinbar zwischen Vogelsanger und Bauhaus am Grünen Weg gelegen. Drinnen eine Bar, Tische und Stühle am Rand, Stehplatz in der Mitte. Einigermaßen hell ist nur die Bühne. Auf der wird es manchmal sehr eng. Die Jungs hinten am Mischpult verstehen ihr Handwerk, der Klang ist gut. Und was vorne geboten wird auch.
Im Barinton vergisst man mitunter, wo man ist. Könnte auch New York sein oder Chicago, London oder Warschau. Das Publikum passt in keine Schublade: jung und alt, Frau und Mann, Biertrinker und Cocktailschlürfer, schwarz, weiss und alles dazwischen. Hier ein Fetzen Französisch, dort Englisch mit Akzent. Ob Jazz, Funk oder Soul: Wer Musik erleben will, live und authentisch, wird hier fündig. Und trifft auf Gleichgesinnte.
Georges bringt Menschen zusammen
Vater des Ganzen ist Georges Sintcheu, vor 51 Jahren in Kamerun geboren. Der Regierungsjob der Eltern führte die Familie über Frankreich vor 25 Jahren nach Köln. Studium und ordentliche Arbeit als Informatiker.
Aber Georges ist alles andere als ein Nerd. Er kann mit Leuten. Strahlt Freundlichkeit aus, Begeisterungsfähigkeit und Zuversicht. Man müsste, könnte, sollte? Der Konjunktiv ist sein Freund nicht. Er macht lieber. Bringt Menschen zusammen, schafft den Rahmen für besondere Momente.
Musik machen, live, war immer seine Leidenschaft. Der lose, sich ständig ändernde Verbund von Gleichgesinnten. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Die gelassene Ernsthaftigkeit. Die Freiräume, wenn nur das Fundament bekannt ist. Und das einzigartige Gefühl, wenn alles zusammenpasst und der Funke zum Publikum überspringt.
Ich wollte nicht immer zum Jammen nach Frankreich fahren.
Insofern war der Zeitpunkt seines Umzugs nach Köln ungünstig. Denn Ende der Neunziger drehte der musikalische Wind, weg von Gitarre, Bass und Schlagzeug hin zu Synth und Drummachine. Aus wenigen Adressen für Livemusik in Köln wurden noch weniger. „Aber ich wollte nicht immer zum Jammen nach Frankreich fahren.“
Also suchte er einen geeigenten Raum und fand eine heruntergekommene Wäscherei. Band sich vertraglich an eine Brauerei, investierte eigenes Geld. Renovierte den Schuppen von Grund auf und eröffnete 2010 sein Barinton. „Bar“ und „Ton“ im Namen sind kein Zufall.
Die ständig wachsende Fangemeinde gibt ihm recht
Jetzt, von der Kündigung bedroht, äußert er zwiespältige Gefühle. „Köln ist doch eine Musikstadt“, argumentiert er, „mit einer Musikhochschule zum Beispiel mit Rang und Namen. Die jungen Leute, die da heranwachsen, müssen doch Möglichkeiten haben, vor Publikum zu spielen.“ Der Austausch, die zufälligen Begegnungen, die magischen Momente – dafür müsse es doch einen Rahmen geben. Er nennt bekannte und weniger bekannte Namen, die im Barinton angefangen haben, einander begegnet sind, sich gegenseitig inspiriert haben. Nicht nur die Musiker, auch eine ständig gewachsene Fangemeinde geben ihm recht.
Dann wiederum ist er von dem Zuspruch, den er in den letzten Wochen erhalten hat, tief berührt. Dass Freunde Benefizkonzerte organisieren. Am 11. Dezember lieferten versierte Musiker unter dem Credo “We Stand Our Ground” fulminante Sets ab: Die Neo Soul&Jazz Formation Molass mit Sängerin Marissa Möller; die Local Ambassadors mit Roland Peil und Gast-Sängerin Melissa Muther, die Funk-Formation um Drummer Richard Münchhoff (RM & Friends) mit dem vollen Sound einer hervorragend eingespielten 10-köpfigen Band. Der Eintritt war frei; das Publikum bedankte sich mit Spenden.
Klare Statements der Barinton-Unterstützer
Auch dass knapp 6.000 Unterstützer die Petition zur Erhaltung seines Clubs unterzeichnet haben – und wie sie das begründen – spricht eine deutliche Sprache. Über seine Gespräche mit der Ehrenfelder Bezirksvertretung und Bürgermeister Josef Wirges hat Georges nur Gutes zu berichten. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass sein Club beim Ordnungsamt eine unbekannte Adresse ist.
Die Kündigung zum Jahresende ist unwirksam und damit aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Nach jetzigem Stand wird Mitte nächsten Jahres endgültig Schluss sein. Das benachbarte Hotel beansprucht den Raum für sich.
Kultur verdient besonderen Schutz
Dass kulturelle Einrichtungen wie das Barinton besonderen Schutz verdienen, darin sind sich alle Fraktionen der Bezirksvertretung einig. Keine künstliche Lebenserhaltung durch Subventionen, wohlgemerkt. Sondern Schutz vor der Kehrseite der Kultigkeit. In Form von halbwegs verlässlichen Rahmenbedingungen für Einzelhandel, Gastronomie und Gewerbe. Damit nicht nur Ein-Euro-Läden, Spielhallen und Wettbüros den Menschen in Ehrenfeld weiterhin ein Angebot machen können, das den wahren Reiz dieses Viertels ausmacht.
Inwieweit die Bezirksregierung einer hehren Einstellung auch Taten folgen lassen kann, wird sich zeigen. Georges ist auf jeden Fall nicht der Typ, der schnell aufgibt. Und viele Ehrenfelder schätzen ihr Viertel so, wie es ist: verwildert und gleichzeitig harmonisch, bodenständig und trotzdem kreativ, chaotisch und trotzdem liebenswert.
Zumindest noch.
Titelfoto: Die ‘Local Ambassadors’ mit Percussionist Roland Peil und Gast-Singer-Songwriterin Melissa Muther spielten für den Erhalt des Barinton.
stirbt als nächstes das Barinton?
Immer wieder schön, hier mal
kurz anzuhalten und zu lesen!
Auch wenn ich in Hamburg lebe,
berühren mich diese kleinen Beiträge aus Köln.
Das freut mich – liebe Grüße in/an die Schöne im Norden!