Nicht ein paar Wochen, sondern vier Jahre hat sie über Immoscout gesucht. Während immer mehr Familien aus dem Freundeskreis aufs Land oder in den Speckgürtel von Köln zogen, sollte es für sie und ihre Familie ein kleines Haus oder eine kleine Wohnung in der Stadt sein. Nichts Außergewöhnliches also, und eigentlich hatten sie gute Voraussetzungen: Solide Verhältnisse, beide Eltern berufstätig, zwei Kinder. Vier Zimmer deshalb, am liebsten im Großraum Ehrenfeld.
Was Sabine erlebt hat, möchte sie schnell vergessen: unpersönliche Makler, ungesunder Wettbewerb unter den Bewerbern, undurchsichtige Bieterverfahren, Ausbootung in letzter Minute – von den unterschiedlichsten Varianten von Renovierungsstau und horrenden Quadratmeterpreisen einmal ganz abgesehen.
Weder mieten noch kaufen
Manchmal kommt das Glück auf verschlungenen Wegen daher. Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung über Baugemeinschaften Anfang des Jahres war der Augenöffner. Nicht mieten, nicht kaufen, sondern gemeinsam bauen – das war die Lösung!
Was auf den ersten Blick ein wenig exotisch und idealistisch anmutet, ist auf den zweiten Blick um so überzeugender. Viel Mitsprachemöglichkeit. Hohe Qualität und Individualität bei geteilten und damit reduzierten Kosten. Unterschiedliche Talente und Fähigkeiten in der Gruppe. Hohes Engagement. Kein Wunder, dass eine Recherche mehr derartige Projekte zutage fördert, als man meinen sollte.
Nix für Eigenbrötler oder Egomanen
Ja, man muss bereit sein, aufeinander zuzugehen und einander zu respektieren. Muss vertrauen können und Vertrauen verdienen, muss nicht nur die eigenen, sondern ganz entschieden auch die Interessen der Gruppe im Auge behalten. Also nicht wirklich ideal für Eigenbrötler oder Egomanen. Wer aber überzeugt ist, dass Vielfalt bereichert und Gemeinschaft beflügelt, wird reichlich belohnt. Gemeinsamkeit macht stark.
Das Glück bescherte Sabine und ihrem Lebensgefährten die Begegnung mit einer ehemaligen Schulfreundin. In deren Baugruppenprojekt in Ehrenfeld war ein Platz frei geworden. Dann ging alles recht schnell. Seit zwei Monaten ist ihre Familie offiziell dabei. Eine der zehn Einheiten des Baugruppenprojekts „Minge Onkel“, das gerade zwischen Christian- und Leyendeckerstraße auf ehemaligem Brachland entsteht, wird ihnen gehören. Ihre Augen leuchten.
Beworben – und gewonnen
Die Idee hatte Martin, seines Zeichens Architekt und als langjähriger Ehrenfelder mit den hiesigen Gegebenheiten gut vertraut. Wie viele andere Städte bietet auch die Stadt Köln gelegentlich Grundstücke speziell für Baugruppenprojekte an – was in Köln lediglich bedeutet, dass die den Wettbewerb für sich entscheidende Gruppe das Grundstück zum regulären Grundstückspreis und entsprechend der üblichen Auflagen/Vorgaben kaufen und bebauen darf. Ab Mai 2017 konnten sich Interessenten für ein Rest-Areal innerhalb des Projektes „Mittendrin in Ehrenfeld“ bewerben.
Ein drei- und ein zweigeschossiger Neubau und ein altes Arbeiterhaus würden insgesamt rund 900 Quadratmeter Wohnfläche bieten. Martin konnte Freunde und Bekannte für die Idee begeistern. Die Gruppe formierte sich, konkretisierte Pläne, zog einen erfahrenen Projektsteuerer hinzu. Gründete eine GbR, wies das erforderliche Eigenkapital nach. Überzeugte mit ihrem Entwurf. Und gewann das Vergabeverfahren.
Den Ausschlag habe nicht nur der gelungene architektonische Entwurf gegeben, mutmaßt Axel, Gruppenmitglied der ersten Stunde und in der Geschäftsführung zuständig für Finanzen. Sondern womöglich auch die Konsequenz, mit der der Gemeinschaftsgedanke verwirklicht werden soll.
Natürlich hat jede Partei eine in sich geschlossene Wohnung. Aber es ist nicht nur Platz für einen gemeinsam genutzten Waschkeller vorgesehen, sondern auch für einen gut ausgestatteten Werkraum. Der wird über die Bezugsphase und zum Beispiel den Aufbau der Küchen hinaus gute Dienste leisten. Und helfen, Geld zu sparen.
Der “Stadtsalon” – ein Raum für Begegnungen
Beschlossene Sache ist der ‚Stadtsalon’ – ein Gemeinschaftsraum für Tischtennis, Yoga und gemeinsames Filmeschauen, der aber auch Begegnungen mit den Nachbarn fördern soll. Und die großzügige Dachterrasse steht ohnehin allen Mitgliedern der Baugruppe zur Verfügung. Sharing is caring.
Natürlich blieben gelegentliche kontroverse Diskussionen nicht aus, räumt Axel ein. Aber es gebe eine klare Struktur mit drei Geschäftsführern und fünf Arbeitsgruppen, die sich alle zwei Wochen zusammensetzen, wenn nicht öfter. Sie sollten sich auf rund 500.000 zu treffende Entscheidungen einstellen, hatte schon ganz am Anfang der Projektsteuerer angekündigt.
Dieser Herausforderung zeigt sich die Gruppe bisher gut gewachsen. Nicht nur aufgrund breit gefächerter Kompetenzen und Erfahrungen, sondern auch dank einer gewissen Entspanntheit. „Minge Onkel“ ist kölsch für „Mon oncle“ und bezieht sich auf Jacques Tatis unermüdlichen Kampf gegen die Tücken eines hypermodernen Domizils.
Minge Onkel – Gemeinschaft macht stark
Es fallen in unserem Gespräch immer wieder die Worte „Gruppe“, “Gemeinschaft”, “Solidarität”. Allein hätte er sich einem solchen Projekt niemals gewachsen gefühlt, meint Axel. Ja, Gemeinschaft mache stark. Aber sie erfordere auch, die eigenen Grenzen weiter zu stecken, sich dem Trubel auszusetzen und damit weiter zu wachsen. Das sei für ihn ganz besonders wichtig.
Sabine hofft, zwischen Christian- und Leyendeckerstraße auch eine Art Heimat für sich und ihre Familie zu finden. Verwandte in der Nähe habe sie nicht. Stattdessen seien die Mitglieder der Baugemeinschaft schon jetzt, lange vor der Schlüsselübergabe Mitte 2021, mehr als einfach nur Nachbarn. Die Erwachsenen im Alter zwischen Ende dreißig und Mitte sechzig. Die neun Kinder zwischen drei und dreizehn Jahre alt. Das fühle sich einfach richtig gut an.
Übrigens: Im alten Arbeiterhaus ist eine kleine Wohnung mit 45 Quadratmetern Wohnfläche im ersten Stock im Moment noch frei.
Noch ein übrigens: Das Auto mit der kleinen Botschaft auf dem Armaturenbrett – so stellte sich im Rahmen der Recherche heraus – gehört dem Axel aus dieser Geschichte. Das Zitat hatte seine Freundin Katharina schon vor ihrer gemeinsamen Zeit entdeckt und ausgedruckt. Er hat es ihr geklaut.
Gemeinsam planen, bauen, wohnen
Hallo alle zusammen,
vielen Dank für die o.a. Erläuterungen und die Bilder.
Wir finden es sehr schön, dass es nun voran geht und man Euer
Bauvorhaben vorankommen sieht. Wir verfolgen den Weitergang
auch ab und zu direkt vor Ort, und freuen uns mit Euch wenn alles so weiter klappt.
Wir freuen uns schon jetzt auf das Richtfest, und spenden Euch das hierfür benötigte Bier für die Richtfest-Feier.
Weiterhin ein gutes Gelingen.
Das ist mal ein Wort – finde ich toll!