Nein, die Trauben sind nicht entlang der Venloer Straße gewachsen. Sondern in der Pfalz, auf einem über Generationen gepflegten Weingut der IMI Winery nahe Neustadt an der Weinstraße. Aber dass sie sofort nach der Lese nach Ehrenfeld kommen würden, in die Leyendecker Straße, das stand seit langem fest. Um hier gekeltert zu werden, sich in Wein zu verwandeln und schließlich in Flaschen mit Ehrenfelder Streetart-Motiven gefüllt zu werden. „Urban winery“ nennt sich die urbane Weinproduktion in Kalifornien, wo Jonathan Hollerith auf die Idee kam. Aus der Idee ist Wirklichkeit geworden.
Das „Warum“ hat er mir im Frühjahr letzten Jahres anschaulich erklärt: Weil es einfach ein Stück Lebensqualität bedeutet, die Entstehung der Dinge mitzuerleben, die das eigene Leben schöner machen. Das können gesunde Lebensmittel sein oder wertige Werkzeuge, handgefertigte Möbelstücke oder handgeschneiderte Kleider. Nicht alles kommt aus der Anonymität der Massenherstellung, Hauptsache billig. Wenn hinter einem Produkt Liebe und Leidenschaft stehen, dann ist das schön zu wissen. Und hat Respekt verdient.
2.500 Flaschen, jede einzelne liebevoll per Hand abgefüllt
Zwei Tage im August. Der in Ehrenfeld gereifte Sauvignon Blanc und ein Orange Wine sind bereit für die Flasche. Auf Facebook hieß es, wer bei der Handabfüllung helfen möchte, sei herzlich willkommen. Der Andrang in der kleinen Halle ist nicht übermäßig groß, aber es herrscht ein stetiges Kommen und Gehen. Es sind Freunde und Fremde, die an diesen zwei Tagen das Kernteam Jonathan und Svenja, Kai und Mats unterstützen. Die Stimmung ist gleichermaßen konzentriert und entspannt. Was anfangs fremd ist, ist bald vertraut.
Die eigentliche Abfüllstation kommt völlig ohne Strom und Mikroprozessoren aus. Per Schwerkraft fließt der Wein aus den sechs Ventilrohren in die Flaschen. Der Pegel im kleinen Vorratsbehälter oben bestimmt die Füllhöhe. Je langsamer Jonathan die Flaschen – zwei Hände, zwei Flaschen – von den Rohren nimmt, desto mehr fließt nach. Ein prüfender Blick, einen Tick mehr oder weniger, die nächsten zwei. Im 7-Sekunden-Takt. Wenn alles glattläuft, verschmelzen Bewegungen und Geräusche zu einer Einheit. Wenn alles glattläuft, erfüllt ein Klappern und Rattern und Sirren und Klirren die kleine Halle, durchsetzt mit Gesprächsfetzen und Gelächter, untermalt mit chilliger Musik.
Auf die Korken sollen die noch offenen Flaschen nicht lange warten, damit Verunreinigungen keine Chance haben. Die Verkorkmaschine (links) ist gefühlte hundert Jahre alt, hängt an einem armdicken Stromkabel und donnert die Korken mit geradezu brachialer Gewalt in den gläsernen Flaschenhals. Nein, Bruch hat es an keinem der beiden Tage gegeben. Aber das Ungeheuer hat seinen eigenen Willen, liefert die Korken gerne zu schnell an, um sie dann unerbittlich zu zertrümmern. Schlecht für den Rhythmus. Schlecht für den Flow.
Wenn beherztes Werkeln an Zahnrädern, Exzenterscheiben, Schubstangen und diversen Hebeln und Federn das Ungeheuer gnädig stimmt: Schön! Wenn nicht, dann muss Mats ran, unterstützt von einem Freiwilligen. Per Hand verkorken. Dafür gibt es zwar auch ein Gerät, aber Knochenarbeit ist es trotzdem.
Der große runde Drehtisch, auf dem die frisch verkorkten Flaschen ihre Zinnkapsel locker übergestülpt bekommen, füllt sich langsam, aber stetig. Die Flaschen müssen jetzt ein wenig Geduld haben, denn der folgende Schritt verträgt kein Tempo. An der kleinen Maschine, die die noch losen Kapseln als nächstes fest an den Flaschenhals anschmiegen wird, ist behutsames Fingerspitzengefühl gefragt.
Jonathan: Als Perfektionist kein Freund von Kompromissen
Sie sieht aus wie eine kleine Kanone für nachbarschaftliche Auseinandersetzungen. In Hüfthöhe werden die Flaschen waagerecht in die Mündung eingeführt – sanft, aber bestimmt. Zweideutige Kommentare lassen da nicht lange auf sich warten. In dem Ding drehen sich irgendwelche Dinge rasend schnell. Und wenn man alles richtig macht, mit Ruhe und Gefühl, dann liegt die Kapsel anschließend wunderschön glatt am Flaschenhals an. Und wenn nicht, dann lässt einen Jonathan das ruhig, aber unmissverständlich wissen. Er ist als Perfektionist kein Freund von Kompromissen.
Die letzte Apparatur, bevor die Flaschen in Reih’ und Glied in den großen Körben zu liegen kommen, ist das Sensibelchen in der Kette. Ihre Walzen und Rollen und Fühler und Lichtschranken sorgen dafür, dass sich die Etiketten hübsch waagerecht und in der richtigen Höhe an die Flasche anschmiegen. Wenn ihr danach ist. Was meistens der Fall ist.
Es hatte aber den Anschein, dass sie sich lieber von Frauenhänden bedienen lässt. Und Svenja besonders mag. Und da sie so ein zartes Wesen ist (die Etikettiermaschine), streicheln Anke oder Anton, Michael oder Sven, Selina oder Kati, Matze oder Yoey, Chris oder Bendix die Etiketten abschließend mit wollbehandschuhten Händen noch einmal liebevoll glatt. Sofern sie nicht gerade anderweitig beschäftigt sind.
Apropos Hände: Es sind sieben bis acht Paar, durch die jede der ca. 2.500 Flaschen an diesen beiden Tagen gegangen ist. Und es ist verblüffend, wie selbst einfache Handgriffe, hundertfach wiederholt, Muskeln und Sehnen zum Klingen bringen. Aber es ist ein schönes Klingen, hervorgerufen durch ehrliche Arbeit. Für ein wertiges Produkt.
Ach ja, der Wein. Der wurde zwischendurch natürlich auch verkostet. In bescheidenem Maße, versteht sich. Soviel sei gesagt: Sowohl der Sauvignon Blanc (mit Clint Eastwood auf dem Etikett) als auch das Cuvée aus Scheurebe, Sauvignon Blanc und Chardonnay mit dem bezeichnenden Namen Fr.Ankenstein sind alles andere als schüchtern. Experten werden den Körper hervorheben und natürlich wissen, dass ein Orange Wine wie ein Roter gekeltert wird. Also mit Schale und damit mit Tanninen und Farbstoffen, die ihm neben der charakteristischen Farbe und einer leichten Trübung jede Menge Persönlichkeit geben.
Eine persönliche Schlussbemerkung: Fr.Ankenstein ist eine Wucht, und mit ihrem Selbstbewusstsein passen beide Weine irgendwie zu Ehrenfeld. Und noch etwas nehme ich mit. Seit diesen zwei Tagen, in einer kleinen Halle in der Leyendecker Straße in Ehrenfeld, hat das Entkorken einer Weinflasche einen ganz besonderen Reiz hinzugewonnen.
Titelfoto: Ein letzter prüfender Blick – IMI Winery Chef Jonathan Hollerith kennt kein Pardon.
IMI Winery
Köln (Ehrenfeld)
Körnerstraße 20
www.imi-winery.de
post@imi-winery.de
Tel: 0178 205 3521
Öffnungszeiten:
Mo-Do: 13-19 Uhr
Fr: 11-19 Uhr
Sa: 11-18 Uhr
Der erste Wein ‚Made in Ehrenfeld’ ist da
What an enjoyable read. The words really brought the experience back to life in my mind’s eye. It was a real enjoyment working with each and everyone of you that came along for the process. Thank you 🙂 Winning a new appreciation for wine and for each time you pull the cork is exactly why I fell in love with making wine in the city. I am grateful for that. Cheers, peace, love, and happiness – Jonathan Hollerith
Thanks Jon. Those two days really brought your objective to life. A unique experience, lovely in many ways. All the best to you and the team. (Loved the taste, too.)