Veranstaltungen sind im Moment nicht so mein Ding. Die Erlebnisse und Begegnungen fehlen mir zwar sehr. Sie sind es schließlich, die den Reiz des urbanen Lebens ausmachen. Aber ich habe keine Lust, mich selbst oder andere zu gefährden. Angesichts Corona will ich die Vernunft über die Freude am Erlebnis siegen lassen. In meinem fortgeschrittenen Alter geht das auch ganz gut.
Aber neulich wehte aus dem benachbarten Leo-Amman-Park mal wieder Musik herüber, an einem späten, sommerlichen Freitag Nachmittag. Das allein ist nicht ungewöhnlich. Aber diese Musik wurde irgendwann richtig gut – zumindest für meine Ohren. Irgendwas zwischen Dixie Jazz und Gypsy Swing, zwei Gitarren anscheinend und ein Bass, alles akustisch, instrumental und mit viel drive.
Vernunftbestimmte Entsagung muss auch mal an ihre Grenzen stoßen. Maske gegriffen und los. Nur mal gucken kann nicht schaden.
Führung mit sanfter Hand
Ich hatte gesehen, dass an der Frontseite des Blau-Gold-Turms im Park hinter dem Ehrenfelder BüZe eine Bühne aufgebaut worden war, vor zwei Wochen schon. Hatte auf einem Plakat etwas gelesen von Begegnungen und Workshops und Yoga und Musik – und die Sache auf sich beruhen lassen. Wegen der Vernunft und so.
Heute war der Bereich um die Bühne großräumig abgesperrt, auf die sanfte Art mit Girlanden und tibetanischen Gebetsfähnchen. „Zum Eingang hinter dem Turm entlang“, stand handgemalt auf einem Aufsteller. Vielleicht später, dachte ich und fand problemlos ein ruhiges Plätzchen außerhalb, von dem aus ich die Musiker zwar nicht sehen, aber die Musik und die Stimmung auf mich wirken lassen konnte.
Erstmal Hände desinfizieren
‚Wenn du schon mal hier bist’, flüsterte meine innere Stimme, und kurz darauf stand ich am Eingang, sprich vor einem Stehtisch auf der grünen Wiese. Darauf nicht etwa Geldkassette, Eintrittskarten, Stempelkissen, sondern gedruckte und handgeschriebene Listen. „Erstmal Hände desinfizieren“, lächelte die junge Frau hinter ihrer Maske und reichte mir eine Sprühflasche. Dann eintragen. „In der 34 ist noch viel Platz. Schön, dass du da bist. Viel Spaß.“
Das Areal innerhalb der Absperrung war in Wege und Parzellen aufgeteilt, mit gelben Seilen auf dem Boden. Jede Parzelle hatte eine Nummer, aufgemalt auf ein Stück Holz, Überbleibsel vom Bühnenbau wahrscheinlich. In der 34 saß nur ein Mann mittleren Alters. Wir nickten uns kurz zu und ließen uns gegenseitig in Ruhe. Der Rest des Konzerts war sehr, sehr schön.
“Schade nur, dass die Leute nicht tanzen können”
Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die gelassene Disziplin der Besucher. Auf dem Weg vom Eingang zum zugewiesenen Platz trug jeder, aber wirklich jeder eine Maske. Kleine Gruppen, Paare, Eltern mit Kindern – die Stimmung war fröhlich-gelöst, aber nicht party-mäßig überspannt. ‚Respektvoll’ trifft es ganz gut.
„Schade ist eigentlich nur, dass die Leute nicht tanzen können oder sich umarmen zum Beispiel,“ sagte mir Jan Pehoviak bei unserem Telefonat ein paar Tage später. Zusammen mit vielen Helfern hat er den „KulturFleck“ im Leo-Amman-Park organisiert. Letztes Jahr hatte er zusammen mit Kompagnon Tim Vallée den KLuG e.V. (‚Köln Leben und Gestalten’) gegründet. Mit einem Ziel, das so schlicht ist wie wirkungsvoll: Rahmen schaffen für Begegnungen, Austausch und Inspiration.
Begegnung ermöglichen – gerade wegen Corona
Ein erstes OpenAir-Mitmach-Fest mit rund 20 Initiativen und Vereinen letzten Sommer auf dem Ebertplatz wurde gut angenommen. Eigentlich sollte diesen Sommer eine erweiterte Fortsetzung von „Gutem begegnen“ folgen. Aber aufgrund von Corona hat er die Karten neu gemischt. „Wir wollten Nachbarn und allen Interessierten über einen längeren Zeitraum einen Begegnungsrahmen anbieten – gerade wegen Corona“, erklärt Jan.
Im Juni begannen die Vorbereitungen – diesen Jahres, wohlgemerkt. Grobes Konzept, Genehmigung und finanzielle Unterstützung im Rahmen des städtischen Open-Air-Programms “Sommer Köln 2020”, viele Freunde und einige ehrenamtliche Profis: Seit Anfang Juli ist im Leo-Amman-Park täglich Programm. Gemeinsamer Nenner: Lasst uns unser Leben gemeinsam lebenswert gestalten. Jan spricht von der Wiederbelebung der Selbstwirksamkeit. Ein Restaurantbesuch mit Freunden sei schön; aber noch schöner sei es, gemeinsam zu kochen.
Corona als Impulsgeber verstehen und nutzen
Ein komplettes Programm für den Kultursommer 2020 im Leo-Amman-Park sucht man vergebens. Weil die Macher nicht mit einem durchstrukturierten Programm antreten, sondern mit etwas viel wertvollerem: Freiraum. Für Kunst. Für Kultur. Für Gemeinschaft. Für Ideen und Lösungen. Auf ihrer Facebook-Seite posten sie regelmäßig einen Ausblick auf die nächste Woche. Was danach sein wird, nimmt gerade Gestalt an. Das Interesse von Vereinen und Initiativen, den angebotenen Freiraum zu nutzen, ist groß. Leerlauf ist bis zum Abschluss Ende September nicht zu erwarten.
Corona sieht Jan nicht als zusätzliche Herausforderung oder gar Hemmnis. Sondern als Impulsgeber. Der normale Alltag sei doch oft recht hedonistisch geprägt, ausgerichtet auf Spaß, Lust, Konsum, Genuss. „Aber seit Corona denken viele Menschen bewusster darüber nach, was ihnen wirklich wichtig ist, im Alltag, im Berufsleben“, meint er. Und dass die Wertschätzung für Solidarität und gesellschaftliches Engagement wächst. Nicht im Sinne eines drögen Aufstiegs in Vereins- oder Organisations-Hierarchien, sondern in informellen, flexiblen Strukturen, vereint durch ein gemeinsames Ziel. Das letztlich der Schutz unseres Klimas und unserer aller Lebensqualität ist. Aber so groß müsse man gar nicht denken. Hauptsache, man tue etwas. Dafür schafft „sein“ Verein Freiräume.
Trotz Corona – oder gerade wegen
Übrigens: Das musikalische Trio, das mich jenem Abend angelockt hatte, hat scheint’s keinen Namen. Aber der eine Gitarrist hieß Martin Henger, das habe ich mir gemerkt. Und beim KulturFleck im Leo-Amman-Park im Schatten des Blau-Gold-Turms schaue ich sicher wieder vorbei.
Trotz Corona. Oder gerade wegen.
Webseite KLuG e.V.: klugev.de
Aktuelle Infos: www.facebook.com/KluGKoeln
Macht gute Musik: Martin Henger
Begegnungen trotz Pandemie