Etwas stimmt nicht in Ehrenfeld. Nichts Dramatisches, kein wirklicher Grund zur Sorge. Rund um den Bahnhof duftet es wie immer nach Kebab, es wuselt auf den Straßen und Bürgersteigen, und vor den Cafés fangen blasse Gesichter die ersten vernünftigen Sonnenstrahlen dieses Jahres ein. Aber wer in den Abendstunden unterwegs ist und nicht nur auf sein Handy starrt, hat es wahrscheinlich schon bemerkt: Der Heliosturm – unser Leuchtturm – er leuchtet nicht mehr.
Ja, es gibt Schlimmeres. Aber beunruhigend ist es schon, wo es doch ohnehin genug Chaos auf der Welt gibt. Er hat noch nie einem Seemann den Weg in den sicheren Hafen gewiesen, hier in Ehrenfeld, 300 Kilometer von der nächsten Küste entfernt. Er ist ein Widerspruch in sich, ein seltenes Exemplar und allein deshalb sympathisch. Und er macht eine gute Figur, was Leuchttürme angeht. Auf seinem stattlichen weißen Sockelgebäude, mit dem sich nach oben verjüngenden Turm aus Backsteinen und seiner Glaskuppel in 44 Meter Höhe. Die seit Anfang des Jahres abends dunkel bleibt. Blind.
Selbstbewusstes Wahrzeichen einer stolzen Firma
Gebaut wurde er vor fast 125 Jahren, offiziell als Versuchsanlage, aber eher doch als selbstbewusstes Wahrzeichen einer stolzen Firma. Die nicht nur Lampen, Generatoren und Elektroanlagen aller Art herstellte, sondern zwischenzeitlich auch Straßenbahnen, Omnibusse und Autos. Die zu ihren besten Zeiten 2.000 Menschen beschäftigte, hier in Ehrenfeld. Und die 1930, nach langer schwerer Firmenkrankheit, endgültig die Tore schließen musste. Ausführlich ist das hier beschrieben und hier.
Der Heliosturm ist geblieben und wird uns auch erhalten bleiben, dem Denkmalschutz sei Dank. Und eigentlich soll er abends leuchten. Tut er aber nicht.
Die Sache mit Opa Mümmel
Ja, es gibt Schlimmeres. Aber da ist dann noch die Sache mit Opa Mümmel. Wir können unseren Ehrenfelder Leuchtturm von unserem Balkon aus gut sehen, wir Großeltern und unsere kleine Enkelin, bald drei Jahre alt und recht klug für ihr Alter. Wir wissen, dass dort oben, in unserem Leuchtturm, in dem kleinen Glashaus, der Opa Mümmel wohnt. (Wer Peppa Wutz kennt, ist hier klar im Vorteil.) Und wenn da oben das Licht brannte, abends, wenn es schon dunkel war und bald Zeit fürs Bett, dann – ja, wie soll man dieses Gefühl beschreiben? Dann war irgendwie alles gut. Weil da draußen einer ist, der aufpasst. Auf den man sich verlassen kann. Opa Mümmel halt, in seinem, in unserem Leuchtturm. Und jetzt?
Die freundliche Dame beim Amt für Denkmalschutz konnte mir schnell den Bezirkszuständigen nennen und der den noch besser Bescheidwissenden. Der konnte berichten, dass das Gelände heute der Firma Bauwens gehört und diese für alle alltäglichen Angelegenheiten zuständig sei. Die freundliche Dame dort konnte mir schnell den Projektverantwortlichen nennen, und der wiederum vermittelte mir den Kontakt zum Hausmeister für das Heliosgelände, den man heute wohl „Facility Manager“ nennen sollte, wenn er nicht einen viel schöneren Titel hätte:
Der Leuchtturmwärter von Ehrenfeld.
Ingo Kreutz hat die Schlüssel zum grauen Eisentor, neben dem blinde Klingelknöpfe an bessere Zeiten erinnern. Drinnen ist es dämmrig, es riecht nach kaltem Stein, nicht unangenehm. Unser Leuchtturmwärter, knapp 50 Jahre alt und Vater zweier Söhne, hat nach der Lehre eine Ausbildung zum Kranführer gemacht. Er ist sportlich gebaut und Höhe gewöhnt.
Ein Kasten mit ganz vielen Drähten dran
Steinerne Treppen führen im Sockelgebäude nach oben, die Wände entlang. Auf halber Höhe ein Durchgang in das Dachgeschoss der benachbarten Rheinlandhalle. Herr Kreutz hat dieser Tage viel um die Ohren. Ohne dass man es von außen merkt, wird innen entkernt, über dem Möbelladen, dem Bike-Geschäft und dem Fitness-Center. Büroräume werden hier entstehen, im Turm selbst eventuell sogar ein Café. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
An der Wand baumelt ein Kasten mit ganz vielen Drähten dran. Einige dicke führen nach oben. Ein paar dünne baumeln orientierungslos herab. Abrissarbeiten halt, erklärt Herr Kreutz. Abgeklemmt von irgend jemandem. Aber da ließe sich bestimmt etwas machen. Irgendwo liegt hier noch Strom.
Der weitere Aufstieg über steile Eisentreppen in einem dürren Stahlgerüst, vorbei an blinden Fenstern und Taubenskeletten: Routine für den Profi, der Kräne gewöhnt ist, die gelegentlich schwanken, im Wind. Für den Laien etwas abenteuerlich und deshalb auch eine Ausnahme.
Ganz oben wird es dann wieder hell. Eine letzte Leiter und wir sind in der Kuppel. In der Mitte eine Batterie von Leuchtstoffröhren, rundherum Glas. So richtig gemütlich hat es Opa Mümmel hier nicht, aber das geht ja keinen etwas an. Eine kleine Luke führt nach draußen. Der Blick an diesem klaren Februartag hält, was er verspricht.
Zurück auf festem Boden treffen wir – welch glücklicher Zufall – auf die Elektrikerbrigade, die im Nachbargebäude zu tun hat. Ich schildere mein Anliegen. Dass der Heliosturm in Wirklichkeit das Wahrzeichen ist von Ehrenfeld. Dass er bis vor kurzem jeden Abend geleuchtet hat, zuverlässig, unverdrossen. Dass wir beunruhigt sind und uns Sorgen machen. Auch wegen Opa Mümmel.
Ich glaube er hat Kinder und kennt Peppa Wutz. Er lächelt auf jeden Fall verständnisvoll. In der kommenden Woche hätten sie ohnehin im Turm zu tun, er und seine Kollegen. Dann wollten sie sich die Sache mal anschauen.
Versprochen?
Versprochen.
Nachtrag:
Sie haben Wort gehalten, unser Leuchtturmwärter und die Elektriker-Jungs. Das gute Ende dieser Geschichte lest ihr -> hier.
Hallo Thomas:
Die Leuchtturm-Geschichte ist wunderschön und wirklich lesenswert. Ich kann nur hoffen, dass bald wieder Licht in den Fixstern Ehrenfelds gelangt.
Gruss Meinolf
Danke Dir – ich bin mal gespannt, ob etwas passiert. 😉
Find ich auch 😊