Es half alles nichts: Sie mussten weg. Alle. Zumindest so gut wie. Wir würden uns jeweils zehn ausssuchen, meine Frau und ich. Besondere Exemplare, die mit uns umziehen würden, vom Land in die Stadt, vom Haus in die Wohnung.
Loslassen kann sehr befreiend wirken, hatten wir uns versichert. Und es stimmte auch, bei der Schallplattensammlung und der Kitchenaid, bei Kurland und Hughes & Kettner, beim Silberbesteck und sogar bei Oma’s Kirschholz-Vitrine. Aber was tun mit den Büchern?
Verkaufen, versteigern, spenden, verschenken – um Bücher war’s schon mal besser bestellt. Dabei sind viele rein handwerklich einfach schön, fühlen sich gut an. Ergeben gemeinsam im Regal ein einzigartiges Muster und sagen in ihrer Auswahl und Anzahl einiges über ihren Besitzer aus – was ja wohl auch ein wenig gewollt ist.
Nur wirklich haben will sie außer uns anscheinend keiner, weder analog noch online. Man hat ja selber genug, und sowieso kaum noch Zeit zum Lesen, und wenn, dann Kindle, und überhaupt. Klar, hundert mal eins-achzig ist auch ’ne Menge Geld. Heißt aber auch, hundert mal zu sagen “Schade eigentlich” und ins Grübeln zu kommen über die Zeit, in der wir leben, und wer will das schon?
Sie ist eher unscheinbar, die schmale Büchervitrine Ecke Körner- und Stammstraße. Aber es dauert nie lange, bis jemand stehenbleibt, stöbert, Neuzugänge beisteuert, mit Bedacht eine Auswahl trifft – oder einfach nur ein wenig aufräumt.
Ich entscheide mich für Wolfe, Mann, Mozart, Böll und Márquez – fünf von vielen, denen draußen im Bergischen der Altpapiercontainer droht. Schaue am nächsten Morgen nach, mit Herzklopfen. Bis auf Márquez alle weg. Tatsächlich, es klappt. Franzen, Regener, O’Connor, Dürrenmatt, McCourt – es gibt Hoffnung. Auf ein neues Zuhause, auf ein wenig Neugier, vielleicht sogar auf einen ganz ganz kleinen Glücksmoment hier und da.
Sicher, die Idee ist weder neu noch einzigartig. Aber das müssen Ideen ja auch nicht sein. Entscheidend ist doch nur, ob wer etwas tut – oder es beim Konjunktiv belässt. Wer wohl hier dahintersteckt?
Die, die es wissen müssen, geben sich zugeknöpft. Hier gehe es nicht um den Einzelnen, sondern um das “Wir”. Um gelebte Nachbarschaft, darum, dass man sich gegenseitig hilft. Oder einfach um die Blumen, hier in der Körnerstraße.
Drüben, beim Bunker, gebe es im Übrigen noch einen. Größer, nicht nur für Bücher, auch für Spielsachen, Klamotten und so.
Manchmal, wenn es ganz still ist, kann man sie flüstern hören. Ob sie wohl morgen wiederkommt, die Mutter mit dem kleinen Jungen, der pensionierte Studienrat mit Hut, Fahrrad und Satteltaschen. Der junge Mann mit dem Bart, die Frau in dem schönen Kleid. Und auf wen wohl die Wahl fallen wird. Und wohin die Reise wohl geht.
Heute Mittag war recht viel Platz in der kleinen Vitrine.
Nicht mehr lange.